Der Urlaubsanspruch, der niemals schläft
Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Mitarbeiter, der das ganze Jahr über erkrankt ist und Krankengeld bezieht. Sie denken vielleicht, dass dieser Mitarbeiter keinen Urlaubsanspruch hat, weil er nicht arbeitet. Aber halt! Das Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) hält eine Überraschung für Sie bereit. Auch während einer Erkrankung besteht ein Urlaubsanspruch. Dies bedeutet, dass Arbeitnehmer auch dann Urlaubstage sammeln können, wenn sie krankgeschrieben sind.
Ja, Sie haben richtig gelesen: Der Anspruch auf Urlaub bleibt bestehen, selbst wenn Ihr Mitarbeiter das ganze Jahr über krank ist. Das bedeutet, dass Sie ihm den vollen Jahresurlaub gewähren und bezahlen müssen, obwohl er keinen einzigen Tag gearbeitet hat. Klingt verrückt? Willkommen in der wunderbaren Welt des Arbeitsrechts!
Ein Blick auf den rechtlichen Hintergrund – keine Sorge, es wird nicht so trocken wie ein Gesetzestext!
Der Gesetzgeber spricht jedem Arbeitnehmer einen Mindesturlaub von vier Wochen zu. Ein Arbeitnehmer, der seit langem erkrankt ist, bleibt unverändert ein Arbeitnehmer im Sinne des Gesetzes. Er hat während der Dauer seiner Krankheit Anspruch auf den vollen Jahresurlaub. Der Urlaubsanspruch ist an keine Arbeitsleistung geknüpft, sondern lediglich an das Bestehen eines Arbeitsvertrages.
Früher konnte ein Langzeit-Erkrankter Jahr für Jahr sein Urlaubskonto auffüllen wie ein Eichhörnchen seine Nussvorräte. Kehrte er nicht mehr an seinen Arbeitsplatz zurück und wurde der Arbeitsvertrag aufgelöst, stand ihm mit der Urlaubsabgeltung ein finanzieller Ausgleich für den nicht genommenen Urlaub zu. Wenn sich der Urlaubsanspruch über Jahre ansammelte, wurde es teuer für den Arbeitgeber.
Das hat auch der Gesetzgeber erkannt und im August 2012 beschlossen, dem Aufbau von Mega-Urlaubsansprüchen einen Riegel vorzuschieben. Er bestätigte zwar den Grundsatz, dass auch ein kranker Arbeitnehmer Anspruch auf Urlaub hat, verkürzte jedoch die Anspardauer. Der Urlaubsanspruch erlischt seitdem spätestens 15 Monate nach Ablauf des Jahres, in der Urlaubsanspruch erworben wurde. Somit verfällt z.B. der Urlaubsanspruch aus dem Jahr 2022 mit dem 31.3.2024
… aber halt, da gibt es einen Haken! Nur wenn Sie als Arbeitgeber den Arbeitnehmer schriftlich auf den drohenden Verfall seines Urlaubsanspruchs hinweisen (Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers), verfällt dieser auch wirklich. Andernfalls würde der Anspruch weiter bestehen, auch während einer langen Krankheit. Diese Hinweispflicht verdanken wir der EU-Bürokratie; nachzulesen in einem Gerichtsurteil des europäischen Gerichtshof (EuGH Urteil v. 14.12.2023 – C-206/22). Vergessen Sie niemals die Erinnerung an den Verfall des Urlaubsanspruchs!
Der "Extra-Urlaub-aber-nur-wenn-du-arbeitest"-Vertrag
Stellen Sie sich vor, Sie haben im Arbeitsvertrag über den gesetzlichen Urlaub hinaus einen zusätzlichen Urlaubsanspruch vereinbart. Bevor Ihre Mitarbeiter ihre Koffer packen und sich auf eine lange Reise freuen können, sollten Sie einen kleinen, aber wichtigen Zusatz im Arbeitsvertrag aufnehmen: “Der zusätzliche Urlaub verfällt am Ende des Jahres, in dem er entstanden ist”
Warum? Nun, Sie wollen sicherlich nicht, dass sich auch der freiwillige Zusatz-Urlaub ansammelt und Ihre Mitarbeiter plötzlich mehr Urlaubstage haben als ein Schullehrer in den Sommerferien! Also keine automatischen Übertragungen ins nächste Jahr – der Urlaub muss genutzt werden, bevor das Jahr endet. Und das gilt dann natürlich auch für kranke Mitarbeiter. Somit bleibt der freiwillig Zusatzurlaub immer eine freiwillige Zusatzleistung. Natürlich können Sie jederzeit zusätzliche Urlaubstage gewähren … aber freiwillig.

Urlaub während Krankengeldbezugs
Niemand ist gern krank, aber wie bei allen Dingen im Leben gibt es auch eine positiven Seite für den Erkrankten. Denn Arbeitnehmer im Krankengeldbezug dürfen in den Urlaub fahren, ohne ihren Anspruch auf Krankengeld zu verlieren. Dazu müssen sie lediglich einen Antrag bei ihrer Krankenkasse einreichen, um ihren Urlaubsanspruch bei Krankheit geltend zu machen. Selbstverständlich darf die Reise die Genesung nicht beeinträchtigen.
Das Bundessozialgericht hat entschieden, dass Krankenkassen einem Aufenthalt im EU-Ausland zustimmen müssen, wenn kein Missbrauch von Leistungen vorliegt (Urteil vom 4.6.2019, Az. B 3 KR 23/18 R).
Reisen innerhalb Deutschlands können jederzeit und ohne Antrag unternommen werden.
Ob Ihr Arbeitnehmer während seiner Krankschreibung am sonnigen Strand seine Zehen in den Sand gräbt oder sich nur auf dem Sofa erholt, sein Urlaubsanspruch bleibt ungemindert bestehen.
Aussteuerung nach Ende des Krankengeldbezuges
Der Anspruch auf Krankengeld endet nach Ablauf von 78 Wochen. Der Mitarbeiter wird “ausgesteuert”. Das bedeutet: die Krankenkasse stellt die Zahlung ein. Um zu verhindern, dass der Kranke ohne finanzielle Mittel dasteht, kann er jetzt Arbeitslosengeld beantragen. Das klingt ein wenig paradox, denn er ist ja arbeitsunfähig.
Aber hier greift die Nahtlosigkeitsregelung. Das Arbeitsamt gewährt Arbeitnehmern, die gar nicht oder nur noch wenige Stunden arbeiten können, (Überbrückungs-)Arbeitslosengeld*.
Das Arbeitslosengeld überbrückt die Zeit bis zur Gewährung einer Erwerbsminderungsrente, die in der Regel zeitgleich gestellt wird (Nahtlosigkeitsregelung).
Was aber bedeutet dies für Sie als Arbeitgeber? Im Grunde ändert sich nichts. Der Urlaubsanspruch bei Krankheit besteht weiterhin. Auch wenn der Mitarbeiter nun Leistungen durch das Arbeitsamt erhält, hat der Arbeitsvertrag weiterhin Bestand. Auch in der Zeit nach dem Krankengeldbezug steht dem Arbeitnehmer unvermindert Urlaub zu.
Aufhebung oder Kündigung des Arbeitsvertrages
Wenn absehbar ist, dass der Arbeitnehmer nicht mehr zurückkehren wird, ist die Aufhebung des Arbeitsvertrages in beiderseitigem Einverständnis ein sinnvoller Weg, das Arbeitsverhältnis zu beenden. Um Nachteile zu vermeiden, sollte dies der Arbeitnehmer immer erst mit dem Arbeitsamt abstimmen.
Urlaubsanspruch bei Krankengeld - Kurz zusammengefasst:
Auch ein erkrankter Arbeitnehmer hat vollen Urlaubsanspruch
Seine Urlaubsansprüche erlöschen 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres, wenn Sie ihn als Arbeitgeber auf den drohenden Verfall schriftlich aufmerksam gemacht haben
*Arbeitslosengeld bei Arbeitsunfähigkeit (nach § 145 SGB III)